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Abseits

Tief im Dschuuungel ...
Tief im Dschuuuuuuuuungel ...
Tief im Dschuuuuuuuugeeeeel ...

Aufbruch ins Niemandsland

Nach der Rückkehr aus Quito werde ich von den Kindern im Dorf so herzlich begrüßt, dass ich schon wieder Zweifel an meiner Entscheidung bekomme. Irgendwie raufe ich mich dann aber doch auf und entschließe mich endgültig das Projekt zu verlassen. Milton gibt mir noch einen Hinweis auf einen Indianerstamm der in den Küstendschungeln abseits der Zivilisation lebt. Die Aussicht auf so eine Tour reizt mich außerordentlich und auch ein zweiter Begleiter findet sich. Zusätzlich haben wir Glück und es ist ein Ecuadorianer in der Nähe, der schon einmal dort gewesen ist und behauptet den Weg zu kennen. Sein Name ist Messias und wir kennen ihn schon etwas länger. Unsere Bitte uns als Führer zu begleiten nimmt er erfreut an.

Ich möchte für die völkerrechtlichen Skeptiker, für die eine solche Visite einem Zoobesuch ähnelt, hier noch einen kurzen Absatz abfassen. Es gibt verschiedene Arten von Idio-Stämmen. Solche, die für Tourismus offen sind und jene, die man besser nicht besuchen fährt. Wir haben uns vor der Reise zum Stamme der Chachis vergewissert, dass wir dort auch willkommen sein würden. Unter keinen Umständen sollte man einfach ohne Führer versuchen so eine Expedition zu unternehmen. Gerät man an den falschen Stamm, so kann das durchaus unerfreuliche Konsequenzen mit sich bringen. Außerdem gibt es einen Grund weshalb diese Völker so weit im Dschungel leben, den man auch respektieren sollte. Es war nicht unsere Absicht irgendwen in seiner Ruhe zu stören und haben uns daher vorher sehr genau erkundigt.

Dann geht es an einem Tag im April früh am Morgen los. In der Bushaltestelle warten wir auf den Bus. Tatsächlich kommt einer, was nicht selbstverständlich ist. Allerdings ist nur noch auf dem Dach Platz, was uns aber gerade recht ist. So verlasse ich nunmehr Estero del Platano für immer. Aber wer weiß ob es mich nicht eines Tages doch noch einmal dorthin zurückträgt.

Die Aussichten auf den bevorstehenden Trip sind nicht direkt komfortabel. Messias kündigt uns einen knappen Tagesmarsch von der letzten mit Autos erreichbaren Siedlung an. Das ist nicht besonders viel. Es gibt Stämme, bei denen ist weit über eine Woche Fußmarsch nötig um das Lager zu erreichen. Allerdings handelt es sich dabei auch um Stämme, die man vielleicht besser nicht besucht. Trotzdem müssen wir uns ranhalten um noch am Tag im Dorf anzukommen. Das gilt besonders in einem Land wo ständig Dinge passieren, mit denen man nicht gerechnet hat.

Glücklicherweise geht alles gut und so treffen wir kurze Zeit später in Liberia ein. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine zentralafrikanische Hauptstadt. Vielmehr finden wir nur eine kleine Ansammlung von Häusern. Trotzdem ist das unsere Haltestelle, denn von hier aus müssen wir mit dem Jeep weiter. Wir sind noch eine Dreiviertelstunde und einen Dollar von der letzten Siedlung vor dem Dschungel entfernt. Auf dem Pickup rumpeln wir jetzt der grünen Masse entgegen.

Last exit to civilization

Nachdem wir die letzte Strecke mit dem Auto zurückgelegt haben, geht es nicht mehr weiter. Schon den Weg hier hin konnte man nur mit viel Fantasie als Straße bezeichnen. Jetzt ist aber endgültig Schluss, es gibt nur noch Busch. Schon an der Küste habe ich gesehen was das Wort "dichter Busch" hier bedeutet. Hierbei handelt es sich nicht um eine Art Laubwald, sondern eher um eine Art Laubdickicht. Ohne Machete gibt es hier nicht den Hauch einer Chance für kein Fortkommen. Man bewegt sich in dieser Gegend mit einer Geschwindigkeit von etwas unter 1km/h. Wir haben allerdings Glück, denn die Indios benutzen gelegentlich einen Pfad und somit sind wir nicht ganz aufgeschmissen.

Wir sind kaum fünf Minuten unterwegs, da bekommen wir schon mal einen Vorgeschmack auf die Dinge. Am Wegrand liegt der Kadaver eines Pferdes, dessen Verwesungsgeruch jede Vorstellungskraft sprengt. Uns erschließt sich der Grund nicht, weshalb ein Pferd an der Stelle liegengelassen wurde. Vermutlich war es sehr krank oder alt. Trotzdem sollte es nicht der letzte Pferdekadaver sein, den ich auf meiner Reise dort gesehen habe.

Überall hört man das Summen und Schnattern von irgendwelchen Tieren. Etwa 15 Meter über unseren Köpfen fällt dumpf das Licht in die Wipfel und heizt das Geflecht auf. Überall wachsen wilder Kakao, Bananen und andere exotische Früchte ohne Hoffnung jemals aus kommerziellen Zwecken geerntet zu werden. Die Hitze wird um den Mittag herum unterträglich, vor allem weil wir unser ganzes Gepäck dabei haben. Messias stört das wenig und hüpft agil durch das Nichts. Ohne ihn hätten wir nicht den Hauch einer Chance gehabt hier etwas zu finden. Es wundert uns schon, wie er überhaupt den Weg finden kann. Auf meiner Karte von Ecuador befinden wir uns längst mitten in einem grünen Klecks, 30km von der nächsten eingezeichneten Straße entfernt. Er aber scheint den Weg zu kennen.

Nach ein paar Stunden haben wir Glück und es ziehen einige Wolken auf. Regen könnten wir nun erst recht nicht gebrauchen, aber solange sie die Sonne nur verdecken sind sie uns willkommen. So vergeht Stunde um Stunde bis wir an den ersten Häusern vorbeikommen. Sie sind an ein kleines Flussbett gelegen. Diese Häuser sind aber nur erste Vorboten und nicht Teil des Dorfes. Bis wir zum eigentlichen Dorf kommen sind es noch ein paar Kilometer.

Dann endlich ist es soweit. Völlig durchnässt erreichen wir ein Plateau, auf dem sich eine Anreihung von Häusern findet. Wir werden von einem Mann mittleren Alters empfangen. Er hat Gummistiefel und eine Tarnhose an und lächelt uns freundlich zu. Messias erklärt ihm unser Anliegen und erhält die gewünschte Auskunft. Es stellt sich heraus, dass wir nur als Gäste aufgenommen werden können, wenn der Dorf-Präsident seine Erlaubnis erteilt. Der ist unglücklicherweise politisch verreist und kann daher diese Erlaubnis nicht erteilen. Allerdings ist sein Stellvertreter im Dorf und man lässt nach ihm schicken.

In der Zwischenzeit unterhalten wir uns mit zwei Männern, die in einer Art Rathaus arbeiten. Wir verstehen uns sehr gut, denn sie sprechen ein sehr (sehr) langsames und klares Spanisch. Nach einiger Unterhaltung erfahren wir auch den allzu offensichtlichen Grund. Das Volk hat seine eigene Sprache, die auch dem Quechua nicht ähnlich ist. Erst in der Schule lernen sie die spanische Sprache zu sprechen und zu schreiben. Damit allerdings gehören die in der Abgeschiedenheit lebenden Chachis zu den wenigen Menschen in Ecuador, die überhaupt zwei Sprache fließend sprechen. Sie machen überhaupt einen deutlich zivilisierteren und gebildeteren Eindruck als viele Viertel in den Städten.

Gastlichkeit

Nachdem der Vizepräsident über unser Kommen informiert wurde, nehmen die Dinge ihren Lauf. Die Menschen wirken warmherzig, wenn auch etwas verschlossen. Man gibt sich Mühe uns nicht anzustarren, aber die Neugierde ist vor allem den Kindern ins Gesicht geschrieben. Für sie sprechen wir auch eine fremde Sprache. Sie können nicht einmal "hallo" oder "guten Tag" auf Spanisch sagen. Auf meine Frage nach Touristen erhalten wir die Antwort, dass zuletzt vor etwa acht Monaten ein Dreiertrupp an der Siedlung vorbeigekommen ist. Allerdings sind sie nicht dort verweilt, sondern weitergezogen. Obwohl ich auf der Reise noch an anderen untouristischen Orten war, so war dieser in seiner Abgeschiedenheit wohl unübertroffen.

Nachdem man uns unser Quartier gezeigt hat, werden wir zum Essen eingeladen. Ich beschrieb bereits an anderer Stelle, dass man sich die Indianer nicht wie in den Büchern von Karl May vorstellen darf. Selbst wenn sie jemals so gelebt haben wie dort beschrieben, so ist davon nichts mehr übrig. Diejenigen, die noch so leben, die spielen es für Touristen oder leben so abgelegen, dass man sie unmöglich erreichen kann. Die Chachis besitzen nicht nur Fernseher und Handys, sondern verfügen sogar - dank eines Regierungsprogramms - über Solarzellen. Allerdings haben weder Handys noch Fernseher Verbindung zur Außenwelt. Fernseher werden genutzt um DVDs zu sehen und Handys um Klingeltöne abzuspielen.

Das Leben hier ist einfach und die Gemüter auch. Da verwundert es nicht, dass sich auch die kulinarische Auswahl den Gegebenheiten anpasst. Es gibt handgefischten Fisch und zwar jeden Tag. Da wir aber nur einen Aufenthalt von drei Tagen planen, lässt es sich noch aushalten. Dazu gibt es die typischen gerösteten Platanos.

Im Sonnenuntergang können wir den Kindern beim Fußballspielen zusehen. Der Ausblick ist einfach ein Traum. Und nicht nur der Ausblick, sondern auch das Gefühl mitten im nichts zu sein. Wer hier verloren geht, der wird wohl nie gefunden. Bald wird es dunkel und in der Entfernung wird ein großes Feuer entzündet. Noch eine ganze Weile verbringen wir auf der Terasse unseres Gästehauses und genießen. Messias kann sich dabei nur über uns lustig machen, für ihn ist das natürlich ganz normal.

Das Leben im Sandkasten

Am nächsten Tag besuche ich die Dorfschule und unterhalte mich mit dem Lehrer. Es gibt nur einen, aber wenn man mit ihm redet merkt man, dass er in einer Schule mit nur einem Lehrer genau der richtige Mann ist. Er hat die Welt draußen gesehen und kennt ihre Reize und Gefahren. Die Kinder lernen lesen, schreiben und rechnen. Vielmehr brauchen sie dort wohl auch nicht. Allerdings ist es so, dass viele junge Leute das Dorf verlassen und nicht zurückkommen. Viele gehen sogar studieren und lernen die Welt außerhalb lieben. Andere kehren dennoch wieder zurück, so wie er selbst.

Wer sich in diese Abgelegenheit traut, den ereilen philosophische Fragen. Wenn ich den Kindern in die Augen sehe, dann frage ich mich was sie über mich denken, welche Fragen sie haben. Sehen sie mich überhaupt als Teil ihrer Welt? Sie kennen unsere Welt nur aus dem Fernsehen, ohne die DVDs wüssten die Kinder gar nicht, dass es so etwas wie Städte gibt. Und auf der anderen Seite: Wie viele Dinge spielen in unserem Leben eigentlich nur deshalb eine Rolle, weil wir es aus dem Fernsehen kennen? Auf eine verrückte Weise sind wir wohl alle Chachis.

Auf der Jagd

Unser Aufenthalt war an eine Bedingung geknüpft. Am Vortag unserer Abreise sollten wir mit einigen Indios auf Fischfang gehen. Also werden wir Nachmittags von zwei Gentlemen abgeholt, die wir dann zur Jagd begleiten. Sie sind mit fletschenartigen Harpunen ausgestattet. Es stellt sich allerdings heraus, dass wir nicht auf Fisch- sondern auf Garnelenjagd gehen. Eigentlich mag ich gar keinen Fisch, aber man muss nun mal essen was auf den Tisch kommt. Und jetzt soll es noch Garnelen geben, na lecker. Aber wenigstens wartet da eine interessante Erfahrung.

Die Jagd geht derart vonstatten, dass man unter einen im Flussbett liegenden Baumstumpf taucht. Dort hängen die Garnelen rum und faulenzen um die Wette. Diesem Betrieb wird durch sachgemäße Bedienung der Harpune ein jähes Ende gesetzt. Das allerdings will gelernt sein. Für uns als Greenhorns ist da nichts zu machen und so müssen wir uns auf die Künste unserer Gefährten verlassen.

Für die Indios ist das alles kein Problem, sie holen eine Garnele nach der nächsten aus dem Wasser und sammeln sie in einem Beutel. Zwischendurch fühlt sich einer der beiden an die Gastfreundschaft erinnert und fragt uns ob wir Hunger hätten. Als wir das bejahen steigt er aus dem Wasser und verschwindet im Busch. Kurz danach kommt er an anderer Stelle bei einer Bananenpalme wieder hervor und fragt uns ob die Bananen für uns in Ordnung wären. Auch diese Frage bejahen wir, woraufhin er mehrere Tritte gegen die Palme setzt und diese schließlich unter Ächzen mitsamt ihrer Staude zu Boden bricht. Dann wirft er uns lachend mehrere Bananen entgegen und kommt zurück ins Wasser. Die restlichen 40 lässt er einfach liegen, wir könnten sie sowieso nicht transportieren.

Die Garnelen kann man von außerhalb des Wassers nicht sehen. Dafür umso mehr andere Tierchen. Wunderschöne Libellen, Schlangen, Schmetterlingen und eine Vielzahl von Vogelarten lassen das Flussbett wie ein Paradies erscheinen. Wegen der Abgelegenheit haben wir keine Sorge uns seltsame Krankheiten einzufangen. Diese Sorge hätte sich auch als unbegründet herausgestellt. Da hätten wir schon mehr Sorge bei den Getränken gehabt. Natürlich trinken die Menschen dort - und deshalb auch wir - nur das Wasser aus dem Fluss. Aber wir überleben es und es stellen sich nicht einmal "Unregelmäßigkeiten" ein.

Der Fang kommt dann auch direkt abends auf den Tisch. Ich hätte die gebratene, geröstete oder wie auch immer erhitzte Version vorgezogen. Doch so wurden sie uns als Ceviche serviert. Im Gegensatz zu der Beschreibung auf Wikipedia wird in Ecuador eigentlich so ziemlich jedes kalte Fischgericht als Ceviche bezeichnet. Dazu zählen dann auch Garnelen, aber auch das kommt immer auf die Gegend an. Schlussendlich muss ich gestehen, dass das Essen allen Widerständen zum Trotz völlig in Ordnung war.

Mit diesen Ereignissen endet meine Reise in Ecuador nach 36 Tagen. Am nächsten Morgen reisen wir bei Sonnenaufgang ab und ich besteige noch am gleichen Tag ohne weitere Zwischenfälle einen Bus in Richtung Peru. Nach einer anstrengenden Nachtfahrt erreiche ich die Grenze am morgen des 19.04.2009. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der letzte Blick auf Estero del Platano. Durch die Wälder in Richtung Chachis. Spiel mir das Lied vom Tod. Wenn möglich in a-Moll. Erste Anzeichen von Leben. Mitten im Nichts: Eine Siedlung der Chachis. Es wird gegessen was auf den Tisch kommt. Einfach eine andere Welt. Lehrer links und Schülerinnen rechts. Die anderen spielen draußen schon Fußball. Eine unglaubliche Fertigkeit der Indios beschert uns das Abendessen. Nicht jedermanns Sache, aber ich würde sie wieder essen.
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