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1: Land
2: Mindo
3: Estero del Platano
4: Schokolade
5: Dorffest
6: Quito
7: Chachis

Geschüttelt und gerührt

Was tun, was tun? Die Einwohner sind so nett und trotzdem ist es anstrengend mit ihnen. Vor allem die Kinder, immer kommen sie zu mir um zu spielen. Und sie freuen sich jedes Mal so wenn sie mich sehen. Aber diese ganzen Zweifel, das ist nicht gesund. Ich bin hin- und hergerissen.

Integration statt Separation

Derweil haben sich im Projekt zwei Päärchen eingefunden. Eines aus der Schweiz und ein US/kanadisches. Das Projekt schreitet nun weiter voran und wir überlegen, das ganze Dorf in unser Projekt zu integrieren (oder umgekehrt). Natürlich müssen wir mit den Menschen reden, sonst macht Aufbauhilfe sehr wenig Sinn.

Also diskutieren wir den Vorschlag, ein Dorffest zu veranstalten. Dazu würden wir die Einwohner aus der nächsten Umgebung einladen um ihnen beim Lagerfeuer das Projekt zu erklären. Im Team findet die Idee grundsätzlich Zustimmung. Allerdings muss man sich überlegen was es dort zu essen geben soll. Die Einwohner ernähren sich hier eigentlich ausschließlich von gebratene Platanos und Fisch. Gebratene Platanos (das sind hier die grünen Bananen) schmecken hier so ähnlich wie dicke Chips. Die Wenigsten haben schon einmal eine Kartoffel gesehen.

Da wir aus Erfahrung wissen, dass diese Leute eine natürlich Abneigung gegen Lebensmittel haben, die sie nicht kennen, bleiben wir bei Platanos. Dazu soll es dann einen Joghurt-Gurkensalat geben und als Hauptgericht ein Schwein. Alle sind einverstanden und wir beschließen die Feierlichkeit am Mittwoch vor Ostern abzuhalten.

Die Speisung der 5.000

In Ecuador (und ja auch in jedem anderen Land) gibt es einfach Dinge, auf die man achten sollte. Zum Beispiel, dass man mit einer Einladung an eine Person auch meint, dass seine Freunde eingeladen sind. Und in einem Dorf sind nun mal alle irgendwie befreundet oder zumindest bekannt. Das hat leider auch unser Projektleiter vergessen, als er etwa 20 Gäste eingeladen hatte. Schon am nächsten Tag zeichnet sich ab, dass es viel mehr Gäste sein werden.

Was wir nicht bedacht haben ist, dass viele Katholiken nicht nur Karfreitag, sondern auch am "Grünmittwoch" kein Fleisch essen. Für unsere Pläne mit dem Schwein ist das natürlich nur zuträglich, weil wir so wenigstens eine kleine Chance haben, dass alle satt werden. Aber auch das Schwein muss erst noch besorgt werden. Das erledigt Milton mit einem Freiwilligen. Obwohl wir uns schon Sorgen machen, geht alles gut. Am späten Vorabend treffen die beiden dann ein und bringen das Schweinchen mit. Ich taufe es auf den Namen Philipe.

Du musst kein Schwein sein

Wenn Schlachthöfe Fenster hätten, dann wäre jedermann Vegetarier ...

Unglaublich aber wahr: Ich musste erst 23 werden, bevor ich einmal die Erfahrung machte, meine Mahlzeit lebendig zu sehen. Aber so unglaublich ist sie wohl auch nicht. Ich bin sicher, dass viele Menschen bewusster mit dem Verzehr von Fleisch umgehen würden, wenn sie es auch wirklich mit Tieren und nicht nur mit roten Lappen in der Kühltheke verbinden würden.

Zum Vegetarier bin ich nun wahrlich nicht geworden, aber bei dem einen oder anderen könnte eine Live-Schlachtung wohl solche Folgen haben. Wer einmal den Todesschrei oder vielmehr das Todesquieken eines Schweins gehört hat, der vergisst es wohl nicht mehr. Jedenfalls ist mir jetzt klar woher der Ausspruch "Du schreist ja wie eine abgestochene Sau" kommt.

Für schwache Nerven ist die Prozedur nichts und auch nicht für Tierfreunde. In einem Dorf wo es nicht einmal ein Telefon gibt, da gibt es nun mal auch keine professionelle Tiertötungsmaschine. Der Schlachter bedient sich also eines einfachen Holzknüppels und schlägt damit mehrmals dem Schwein direkt vor den Schädel. Dadurch wird es orientierungslos, aber auch panisch und beginnt in den höchsten Tonlagen zu quieken. Obwohl es nicht ausgewachsen ist, muss es von einem zweiten Helfer stramm festgehalten werden. Trotzdem tobt es in seinem Todestanz wütend herum, bis es vor Müdigkeit kurz stehenbleibt. Der Schlachter nutzt den Moment eiskalt, um zuzustechen. Eine tiefe Schnittwunde am Hals und das letzte Aufbäumen beginnt. Nach einer halben Minute bricht das Tier dann endlich zusammen. Am Boden liegend wälzt es sich noch einmal bis nach zwei weiteren Minuten jedes Lebenszeichen aus dem Körper entweicht. Philipe ist Geschichte - naja noch nicht ganz, er ist ja noch irgendwie da.

Im nächsten Schritt werden die Borsten entfernt. Dazu wird es mit kochendem Wasser begossen. Das Gewebe erleidet Verbrennungen und zieht sich zusammen, die Borsten lassen sich dann ganz leicht mit einem messer abziehen. So wie die Pelle einer gekochten Kartoffel. Danach beginnt die eigentliche Schlachtung, die ich hier nicht vertiefen werde. Trotz der ganzen Prozedur kann ich sagen, dass das Schwein sehr gut geschmeckt hat. Vielleicht waren es die besten Kotelettes, die ich je gegessen habe.

Zur Zubereitung sei noch gesagt, dass der Ecuadorianer ein Schwein anders ist als wir. In den Städten weiß man evtl. was ein Kotelett ist, aber auf dem Dorf nicht. Das Fleisch wird hier in kleine Würfel geschnitten und dann gekocht, was auch nicht schlecht schmeckt. Eine andere Zubereitung, die vor allem in Quito bekannt ist, ist das sogenannte "hornado". Das bedeutet so viel wie "geofente" und zwar gerade deshalb, weil das Schwein in seiner Gänze im Ofen verschwindet. Zur Mahlzeit werden dann davon kleine Teile abgeschnitten.

Für's Leben lernen wir

Für die Dorfbewohner ist das ganze natürlich - im wahrsten Sinne des Wortes - das reinste Fest. Es kommen im Ganzen wohl so 50 Leute. Viele kommen auch und gucken etwas scheu was los ist, gehen aber dann wieder. Anwesend sind vor allem Kinder.

Um gute Stimmung zu machen, initiiert ein Mann aus dem Dorf ein Spiel. Dabei steht ein Bestimmer in der Mitte und gibt die beiden Kommandos "pasala" (reich's weiter) und "para" (stop). Dabei reichen sich die Anwesenden einen Kamm durch solange der Bestimmer "pasala" sagt. Wenn er "para" sagt, dann muss derjenige mit dem Kamm in die Mitte und irgendwas vortragen, z.B. einen Witz, einen Spruch, eine Geschichte oder ein Lied singen. Natürlich bricht jedes Mal ein haltloses Gelächter los, wenn jemand in die Mitte muss. Auch ich bin einmal dran und betätige mich der Gitarre, indem ich Yesterday von den Beatles spiele, was von den Einheimischen freilich niemand kennt.

Danach wird dann gegessen. Da wir keine Teller und auch kein Besteck für so viele Leute haben, haben wir ganz im Sinne der Nachhaltigkeit Teller aus Palmblättern präpariert. Als Tassen haben wir Bambusrohre in ihre Kammern zersägt, was hervorragend funktioniert. Besteck gibt es keins, ist aber auch nicht nötig. Ursprünglich wollten die Leute unbedingt Plastikgeschirr haben. Plastik ist das Tollste, weil es eben so künstlich - und schlichtweg etwas Besonderes - ist. Auf unsere Nachfrage der Entsorgung erhalten wir die Antwort, dass das überhaupt kein Problem sei. Wir können es einfach verbrennen. Nach einigen Erklärungen machen sie dann den Vorschlag das Geschirr einfach zu vergraben. Auch das lehnen wir ab, denn das ist kein Stück besser. Da der Leser hier vielleicht etwas neues lernt, füge ich noch den einen Satz bei. Wenn Plastik vergraben wird, dann entweichen giftige Substanzen. Diese durchziehen die Erde und vergiften Boden und Wasser. Sie steigen aber auch bis zur Oberfläche und dann gasförmig in die Luft. Es würde viele Jahrhunderte dauern, bis ein einfacher Plastikteller kompostiert ist.

Genau über dieses Thema möchte Milton dann sprechen. Er erklärt warum wir da sind und was wir vorhaben und weshalb die bisherige Lebensweise - also der unverantwortliche Umgang mit der Natur - vor allem ihnen selbst schadet. Allerdings geht die Botschaft ein bisschen im allgemeinen Gemurmel und den Kinderstimmen unter, sodass man nur hoffen kann, dass etwas hängen geblieben ist.

Auch diese Erfahrung demotiviert mich. Wenn ich das Gefühl hätte, dass die Einwohner mehrheitlich begeistert sind und verstehen was wir tun, dann wäre es eine Sache. Aber es reicht leider oft nicht einmal zum Verstehen. Sie nicken und sagen, dass das alles ganz gut ist, schmeißen aber im nächsten Augenblick irgendeinen Plastikmüll ins Gebüsch. Ich merke, dass einfach mehr Zeit nötig ist um die Leute für das Thema zu sensibilisieren. Fehlende Bildung und Jahrzente alte schlechte Gewohnheiten lassen sich nicht auf die Schnelle ausgleichen. Ich erkenne daher, das dort andere Kräfte gebraucht werden. Keine temporären Freiwilligen, die ein paar Wochen da sind, sondern integrierte Entwicklungshelfer. Ich hingegen muss immer mein ablaufendes Visum im Hinterkopf haben. Somit trage ich mich immer mehr mit dem Gedanken das Projekt zu verlassen.

So kennen wir die Mädels: Neugierde ohne jede Hemmung. Philipe vor seinem Auftritt. Philipe beim Metzger. Philipe in Elysium. Philipe wird für die Mahlzeit vorbereitet. So haben wir Philipes Geschwister schon immer kennengelernt. Eine Mahlzeit in der Natur - mit recyclebarem Teller. Und mit recyclebarem Becher. Und wir integrieren die Leute vor Ort in das Projekt. Ein tiefer Blick ins Feuer verrät mir meine baldige Abreise.
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