Ein bisschen Freiheit
So richtig frei sein, jedermanns Traum. Klingt doch einfach toll, nur: Was heißt eigentlich frei? Alles tun was das Herz begehrt? Oder andersherum, wie unser Freund und Helfer Jean-Jacques Rousseau bermerkte: Nicht tun zu müssen, was man nicht möchte? In manchen Ländern mag sich heute schon frei fühlen, wer sich ohne Angst vor einem Anschlag bewegen kann. Viele Menschen, viele Länder, viele Ansichten. Ist es möglich, dass Freiheit nur in unserem Kopf stattfindet? Oder gerade dort nicht? Vermutlich beginnt sie zumindest dort, wo Grenzen und Zwänge fallen. Das scheint plausibel und muss uns hier reichen. Wie frei ich wirklich bin, entscheide ich am besten jeden Tag neu. Dann kann ich mir die ganzen Weisheiten auch sparen.
Goodbye sweet Alcatraz!
In meinem Fall liegt die Freiheit - wie so oft - im Ausbruch. Ein Ausbruch aus einem Gedankengefängnis, das niemand geringeres erbaut hat, als ich selbst. Natürlich unter wesentlichem Einfluss der mitteleuropäischen Kultur, meinem persöhnlichen Umfeld und unzähligen anderen Faktoren. Meinem Reisepass zurfolge, heiße ich Felix und das ist mir ganz recht. Ich bin 22 Jahre alt und studiere Wirtschaftsinformatik in Paderborn. Im März 2009 werde ich den ersten Teil meiner Uni-Laufbahn abgeschlossen haben. In meinem heftig ökonomisch durchgestylten Leben fehlt es natürlich nicht an einem erfolgsversprechenden Anschluss-Plan. Also alles in besten Bahnen. Oder vielleicht doch nicht? Es fehlt mir an nichts, soweit die Theroie. Andererseits weiß ich nicht, was mir entgeht. Und so ist "Bahnen" hier das Stichwort der Wahl.
Passend kommt hierzu die Redewendung "über den eigenen Schatten" zu springen. So schwierig wie sich solch ein Sprung in der Praxis gestaltet, ist er wohl im übertragenen Sinne nicht. Damit behaupte ich nicht weniger, als dass es zumindest möglich ist, entgegen seinem selbst angelegten Profil zu handeln. Und die Parallele, also die Daseinsberechtigung dieser Metapher, scheint doch vorhanden zu sein. Mal ehrlich: Wie sehr möchte man aus den breit ausgefahrenen Fahrwassern der eigenen Wahrnehmung und des Denkens wirklich ausbrechen? Und wie sinnvoll ist solch ein Schattensprung überhaupt?
Jetzt aber mal in Ernst
Ich habe das Experiment gewagt, denn trotz (oder gerade wegen) aussichtsreicher akademischer Karrierechance balanciere ich auf einem hauchdünnen Seil. Zur Wahl stand ein aussichtsreiches Projekt für etwa vier Jahre, mit dem ich meinen Kindheitstraum hätte umsetzen können, verbunden mit einer hervorragenden beruflichen Qualifikation. Was nun bewegt jemanden, eine solche Zukunft auszuschlagen? Andere würden vielleicht einiges zurücklassen um überhaupt so eine Möglichkeit zu haben. Diese Art von Selbstverwirklichung scheint in der Tat sehr verlockend. Der eigentliche Preis bleibt jedoch auf den ersten Blick verborgen: Eine Gefahr neben den vier Jahren intensiver zeitlicher Bindung, die für sich genommen schon ein hoher Preis sind. Mich ängstigte hier das Risiko, in einen Tunnelblick zu verfallen und dabei wesentliche andere Reichtümer, mehr oder weniger bewusst, vollkommen aus dem Blickfeld zu verlieren. Man könnte vielleicht annehmen, dass alleine das Bewusstsein für dieses Risiko es auch schon wieder hinfällig macht. Das roch für mich aber nach einer zu oberflächlich Abhandlung und der Gegenwert, also gewissermaßen die Risikoprämie, wäre einfach nicht hoch genug. Es ist auch fraglich, ob er überhaupt hoch genug sein könnte. So habe ich mich dazu entschieden, diese Pläne einer wohlbehüteten Zukunft vorerst in die Schublade zu legen.
Wie ist also die Vorgehensweise für eine Zieländerung, wenn man bereits über den Wolken im Flieger sitzt? Vielleicht wird der Gedanke erstmal wieder weggeschoben. Oder der Klassiker: Der Gedanke wird erstmal aufgegriffen und die Planung für den neuen Kurs schon einmal gedanklich begonnen. Dann hat man ja schonmal seinen "Plan", wenn man landet und kann nach den nötigen Besorgungen direkt zum neuen Ziel aufbrechen. So oder so ähnlich wird es wohl normalerweise geschehen. Normalerweise. Daneben gibt es auch noch die Leute, die die präventive Strategie bevorzugen. In ihrer Schlichtheit besteht sie darin, sich lieber direkt einen Fallschirm zu greifen und abzuspringen. Dass man perspektivlos in einem unbekannten Land ankommt, spielt dabei höchstens eine rostige, viertrangige Rolle. Zu groß ist der Optimismus, dass Land und Leute (vielleicht auch welche, die man auf dem Weg zur Erdoberfläche trifft) ja sehr nett sein könnten. Ganz zu schweigen von dem unbezahlbaren Gefühl, sich ins Unbekannte zu stürzen, ohne sich auf irgendetwas Altbewährtes verlassen zu können. Das neue Ziel, welches ich in meinem Flieger ausmache heißt: Life from scratch. Dass ich keine Karte habe, stört mich dabei nicht. Wie soll man sich auch verlaufen, wenn schon der Weg das Ziel ist? Das Land, über dem ich nun mit meinem Fallschirm abspringe, trägt den schönen Namen Ecuador und wird für mich das Tor zu einer neuen Welt.
Da für mein eigentliches Ziel der Absprungsort doch relativ unerheblich ist, hätte ich durchaus auch über Argentinien, Madagaskar oder Myanmar abspringen können. Aber Ecuador ist sicherlich auch schön und eine Entscheidung muss schließlich fallen. Für Ecuador sprechen unter anderem: Spanisch ist Landessprache, unglaubliche Artenvielfalt, ebenfalls unglaubliche Terrainunterschiede. Gut, Ecuador ist ausgemachte Sache.
"Für England, James?" - "Nein, für mich!"
Nächste Frage: Wohin genau und was tun wenn man dort ist? Im Grunde genommen lag es nicht in meiner Absicht, Freiwilligenarbeit zu leisten. Die Tendenz war hier eher "sich durchzuschlagen". Allerdings erschien es mir nützlich, doch erst einmal einen Einstieg zu bekommen, welcher durch Freiwilligenprojekte stark erleichtert wird. Schließlich überzeugte aber auch die Aussicht, etwas gutes für die Umwelt zu tun und dabei noch etwas zu lernen. So habe ich einige Projekte gefunden, auf deren Einzelheiten ich hier verzichten werde. Das schlussendlich festgemachte Ziel hingegen soll natürlich erwähnt werden. Es ist das Projekt BioMindo, der Name ist Programm. Es handelt sich um eine Gruppe von Menschen aus aller Welt, die in dem ecuadorianischen Bergdorf Mindo eine Permakultur leben möchten. In diesem Projekt werde ich mich vorwiegend dem Bau mit nachwachsenden Materialien widmen. Weiterführende Informationen über das Projekt finden sich auf der Webseite.
Die allermeisten anderen Projekte werden von professionellen Hilfsorganisationen durchgeführt. Das dominierende Arbeitsfeld ist hier: Den Menschen vor Ort helfen. Diese Tätigkeit halte ich für durchaus ehrenwert, konnte sie für mich persönlich jedoch sofort ausschließen. Mir missfällt der Gedanke an eine Reise auf einen fremden Kontinent, um den Menschen dort "zu helfen". Ich stehe der Idee grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, jedoch erst nach einer für mich angemessenen Einlebephase. Ohne Land, Menschen und Kultur richtig zu kennen, kommt es mir unheimlich vor, dort als Helfer aufzutreten.
Im März 2009 werde ich also Deutschland verlassen. BioMindo ist - so der Plan - der Einstieg in mein größtes Abenteuer. Anders als vorerst geplant, gibt es allerdings nun doch schon einen Rückreisetermin. Da ich zugesagt habe, als Mitarbeiter eine Jugendfreizeit im Juli 2009 nach Korsika zu betreuen, geht es im Juli schon wieder zurück. Aber immerhin habe ich vier Monate Zeit, von denen ich mindestens einen im Projekt verbringen werde. Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Insbesondere mein bürostuhlgeprägter Körper freut sich auf ein Trainingsprogramm, das es mir in sechs Monaten gestatten wird, regelmäßig 15 bis 20 Kilogramm auf dem Rücken zu tragen.
Dieses Reisetagebuch ist aber unschwer erkennbar das Tagebuch Kolumbien I. Während meiner Vorbereitungen habe ich festgestellt, dass ein Flug nach Kolumbien 200$ günstiger ist, als nach Ecuador. Also beschloss ich nach Kolumbien zu fliegen und von dort mit dem Bus nach Ecuador zu reisen. Es zeigte sich aber, dass die Zeit in Kolumbien mehr war als nur eine Durchreise und so habe ich meine Erlebnisse hier zusammengefasst.
Viel Spaß beim Lesen!